Obertonsingen, Tönen und das Besingen von Personen
Thomas Heinrich Schmöckel, du übst seit 1988 die Praxis des Obertonsingens aus. Was kann man sich darunter vorstellen?
Obertöne sind in jeder Stimme vorhanden. Viele denken, Obertonsingen hat etwas mit Hochtonsingen zu tun, jedoch ist es eine ganz entspannte und einfache Form des Singens, des Tönens. Ich wähle einen Grundton aus, in bequemer Tonhöhe und stelle mich auf diesen Ton ein.
Wie machst du das?
Ich lausche in diesen Ton hinein. Durch leichtes Modellieren des Raumes im Mund man könnte auch sagen durch intensives Lauschen - stellt man fest, dass dieser Ton nicht aus einem einzelnen Ton besteht. Jeder Ton hat die Obertöne in sich - eine ganze Skala von Obertönen die seine Klangfarbe ausmachen. Wenn ich also da sitze und töne, lausche ich in diesen Klang hinein und beginne, mich an den Obertönen, die dort erscheinen und zu hören sind, zu erfreuen. Für mich ist das eine vielleicht die entspannteste Möglichkeit von Meditation. Ich töne, lausche, lasse die Obertöne geschehen, vergesse dabei zu denken und gehe ein in den ganzen Klang dieses einen Tones.
Der dabei immer weiter ertönt?
Ja, zuerst bleibe ich auf dem Ton. Später entscheide ich mich, vielleicht einen anderen Ton auszuwählen. Ich lasse mich einfach leiten von dem, was an Tönen gerade aus mir heraus singen möchte.
Kann man sagen, dass mit der Zeit nicht du singst, sondern es singt in dir?
Auf jeden Fall. Ich denke nicht mehr, ich lasse mich leiten. Ich bin.
Wenn nicht du es bist, der in dir singt, wer oder was ist es dann?
Ich kann nicht genau sagen, was es ist, aber ich stelle fest, es ist eine bestimmte Form von Sein ist, von Geschehen Lassen, im idealsten Falle eine Form von Einssein mit mir und allem, was um mich ist. Man erlebt, dass einfach alles in Ordnung ist. Das Denken hört auf und der Beobachter kommt heraus und beobachtet, ohne jegliche Wertung. Es ist so, als wenn der Verstand eine neue Aufgabe bekommt. Nicht zu analysieren und zu bewerten, sondern zu beobachten, wahrzunehmen.
Wie lange kann man in diesem Zustand verharren?
Das ist nicht bestimmbar. Manchmal Sekunden, manchmal Minuten, selten Stunden
Kannst du einmal einen solchen länger andauernden Bewusstseinszustand genauer beschreiben?
Das Erlebnis, an das ich jetzt denke, ist eines der ersten tiefen mit Obertönen und dem Tönen. Wir waren drei Personen und befanden uns in einer kleinen Kapelle. Wir ließen uns einfach leiten und reagierten auf die Klänge des Anderen. Und weil Zeit und Raum "stimmten", geschah mit uns Dreien - jeder für sich - Etwas. Ich spürte eine große Leichtigkeit in meinem Körper aufsteigen, war verwundert und gleichzeitig begeistert, lud diese Leichtigkeit ein, sich in meinem ganzen Körper auszubreiten und sang dazu. Dann stellte ich fest, dass "Es" mich bewegte. Ich gab meine Kontrolle ab und ließ es geschehen. Ich habe das überwiegend mit geschlossenen Augen gemacht. Von Zeit zu Zeit fühlte ich mich aufgefordert, die Augen zu öffnen und zu schauen.
Was hast du da gesehen?
Einmal schaute ich direkt in ein silbernes Kreuz, in die Augen von Jesus, und mich erreichte ein intensiver Lichtstrahl von Auge zu Auge. Ich war erschrocken von dieser Kraft und gleichzeitig überwältigt und schaute, so lange ich konnte. Ich empfand es wie eine Art "Licht-Einweihung". Später wurde ich weiterbewegt und es gab einen Lichtschein in der Kirche. Ich wusste, wenn ich keine Angst gehabt hätte, hätte ich dort auch ein Geistwesen sehen können. Das ganze Erlebnis dauerte einige Stunden die uns wie Minuten vorkamen.
Du hattest also ein Erlebnis von etwas Christlichem. Ist es nicht so, dass die Praxis des Obertonsingens und auch der Gongs mehr aus dem östlichen Kulturbereich stammen?
Ich bezeichne das als ein spirituelles Erlebnis, in diesem Fall mit Christus, aber auch mit dem universellen Licht, das durch Christus leuchtete. Das Obertonsingen habe ich in Europa kennen gelernt. Es gibt auch alte Wurzeln dieser Art von Gesang in Europa, zum Beispiel den gregorianischen Gesang. In Europa hat sich ein eigener Obertongesang entwickelt, der leichter und nicht so kompliziert zu erlernen ist. Er zielt mehr darauf ab, auch körperliche Entspannung hervorzurufen, aber natürlich auch die Obertöne deutlich hörbar zu machen und mit ihnen zu spielen, Melodien zu singen. In der asiatischen Kultur bezeichnet man Obertongesang gerne auch als Kehlkopfgesang. Es hört sich so an, dass die Töne mehr gepresst werden. Spannende asiatische Obertonkulturen findet man in Tuva (nördlich der Mongolei), in Ostsibirien, in der Mongolei, aber auch in Tibet und Indien. Nicht vergessen sollten wir Europäer, dass auch die Samen die Urbevölkerung Lapplands den Obertongesang im Joiken pflegen. Joiken, frei übersetzt, bedeutet: "Ich singe dich, ich singe mich." Jeder Same hat seinen eignen Joik, d.h. eine Art eigene Erkennenungsmelodie, die troditionell in der Natur gesungen wird.
Wie bist du in engeren Kontakt mit diesem Volk gekommen?
Meinen ersten Aufenthalt in Nordnorwegen hatte ich auf den Lofoten. Ich gab dort Seminare und Konzerte, eines davon in einem großen alten Heringsöltank. Nach diesen Versanstaltungen hatte ich mir vorgenommen, nach Hause zu fahren. Der Weg war noch weit - 3500 km - , es war noch eine Woche Zeit. Da hörte ich in mir eine tiefe, sehr tiefe innere Stimme, die sagte: "Go north as far as you can!" Nach eindringlichen Wiederholungen entschloss ich mich, nachzugeben. Also begab ich mich weiter gen Norden, entdeckte Tromsö, die nordischen Alpen und reiste so weit nördlich, wie ich konnte - bis zum Nordkap. Dies setzte ich in späteren Jahren fort. Immer wieder zog es mich nach Nordnorwegen, und so begegnete ich auch den Samen auf einem Festival - dem Riddu Riddu. Auf diesem von den Samen in jedem Jahr im Juli veranstalteten Fest begegnete ich außer den Einheimischen auch den mit ihnen befreundeten Vertretern der Naturvölker dieser Erde: den Tuvienern, SängerInnen aus dem Altaigebirge, Ostsibiren, Innuits und den nordamerikanischen Indianern. Fast alle präsentierten unter Anderem teils sehr rhythmischen Obertongesang aus ihren Kulturen.
Hat dieser Gesang eine Wirkung auf die Natur?
Ja. Obertongesang ist ein "Naturgesang". Die Obertonreihe in sich ist harmonisch (im Englischen heißen Obertöne harmonics.) In jeder Stimme und in jedem Instrument sind Obertöne zu hören. Zum Beispiel bei einem Horn, werden die ohne Ventile erzeugten Töne auch Naturtöne genannt. Diese Naturtöne sind die Obertöne des Instrumentes. Singt man bewusst Obertöne, so bewegt man sich automatisch in den natürlichen Gesetzmäßigkeiten. So ist es nur natürlich, dass Obertongesang und natürlicher Klang an sich eine Wirkung auch auf die Natur haben. Man kann zum Beispiel an kranken Orten in der Natur singen, am besten mit einer Gruppe. Obertonintervalle haben eine kosmische Naturgesetzmäßigkeit. Gleiche Verhältnismäßigkeiten wurden auch in der Physik und Mathematik nachgewiesen
Wenn es solche Krankheit und Dissonanz in der Natur gibt: kann dann das Obertonsingen wieder für Harmonie und Gesundung sorgen helfen?
Natürlich. Man kann sich gar nicht dagegen wehren. Wenn ich mich dem obertonreichen Klang öffne, passiert automatisch Etwas. Die natürliche Ordnung wird wieder hergestellt. Die "Harmonics" wirken.
Auch im menschlichen Körper? Nehmen wir einmal an, ein Mensch mit einer stark schmerzenden Schulter und eingeschränkter Bewegungsfähigkeit kommt zu dir und bittet um Hilfe. Was machst du dann?
Ich gehe absichtslos an die Arbeit. Ich kann nie eine völlige Heilung versprechen. Was ich mache, ist Folgendes: Ich stimme mich ein. das heißt: Ich verbinde mich mit der höchsten göttlichen Quelle und bitte um Führung. Dann frage ich auf einer geistigen Ebene den zu Besingenden, ob es wirklich in Ordnung ist zu tönen. Erst wenn ich von beiden Seiten ein deutliches Ja spüre, beginne ich. Zuerst konzentriere ich mich auf die Schulter, singe die Töne, die kommen, die erscheinen, die entstehen" In Resonanz darauf erscheinen vor meinem inneren Auge Bilder. In ständiger Kommunikation mit der Schulter und meiner Führung lasse ich mich weiter leiten. Dann kann es passieren, dass ich gar nicht direkt zu der Schulter singe, sondern in einer anderen Region "lande": in einem anderen Körperteil oder einer Auraschicht. Eine Besingung ist daher wie ein kleines Abenteuer. Und des Rätsels Lösung für die kranke Schulter findet sich oft an ungeahnten Orten bzw. in nun offenbar werdenden Zusammenhängen.
Wie geht eigentlich das Obertonsingen? Wie entstehen die Obertöne? Kann man das erlernen?
Das Erlernen von Obertönen, d.h. die eigenen Töne zu produzieren und auch zu hören, ist relativ einfach. Obertöne sind eh schon in dem normalen Klang der Stimme enthalten, sowohl beim Sprechen als auch beim Singen, so dass es überwiegend darum geht, sie zu hören. Natürlich gibt es zusätzlich Techniken, die das Erlernen vereinfachen. Besonders wichtig ist eine Reduzierung des Tempos: z.B. eine Bewegung im Mundraum von I nach U geht nicht plötzlich, sondern über einen langen Atemzug. Bei der I-U-Bewegung ist es sinnvoll, eine Zwischenstation einzubauen, nämlich das Ü. Beim Ausprobieren dieser Übung singe zuerst von I nach Ü auf einen ganzen Atemzug mit gleichmäßiger Veränderung im Mundraum. Das Gleiche dann mit Ü-U ausführen. Übe dies mindestens fünf mal jeweils und lass dir Zeit dabei. Dann singe die ganze Linie von I über Ü nach U. Neben der reinen technischen Übung, bei der man die Obertonreihe von oben nach unten hört, ist dies auch eine sehr energetische Übung. Ich habe mir sagen lassen, dass die Tibeter glauben, dass der Mensch mit diesem Klang ursprünglich auf die Erde kam. Außerdem kann man die Übung genauso gut umgekehrt machen, von U über Ü nach I. Das Wichtigste bei dieser und bei allen anderen Übungen ist, ich wiederhole es, die gleichmäßige Langsamkeit. Ich erinnere, dass die Obertöne schon längst da sind und die Räume gefunden werden wollen, wo wir sie am besten hören. Ein einzelner Atemzug und die Wiederholungen sind dann wirklich jedes Mal wie eine kleine Entdeckungsreise ein Abenteuer.
Wie arbeitest Du mit Deinem Obertonchor, was für Musikstücke singt ihr, wie entstehen diese?
Die Sänger und Sängerinnen bewegen sich in vorgegebenen Themen, besprochenen Abläufen, wie innenren Filmen, oder festgelegten Strukturen, wobei die Obertonsänger mehr oder weniger freie Gestaltungsmöglichkeiten haben. Die Stücke haben zum Ziel, eine bestimmte Stimmung zu erzeugen, einen musikalischen Ausdruck einer Geschichte zu vermitteln und natürlich auch die Welt der Obertöne und deren Besonderheiten darzustellen. Darüber hinaus darf die Wirkung des Obertongesanges die ZuhörerInnen erreichen. Mit den Mitgliedern des Chores arbeite ich durch das Jahr ganzheitlich an Stimme, am Selbstvertrauen und der Technik des Obertongesanges. Dadurch das die SängerInnen die Wirkung der Obertöne in sich wahrnehmen können, sind sie in der Lage, dies auch anderen zu vermitteln. Konzerte geben wir in Kirchen oder anderen spannenden Örtlichkeiten. Wir arbeiten aber auch in der Natur; Tönen und Besingen für verschiedene Projekte. Dieses Jahr haben wir über der Landschaft von Angeln einen Lichttempel initiiert.
Nun arbeitest du ja nicht nur mit den gesungenen Obertönen, sondern auch mit dem Gong. Was ist da das Besondere?
Erstmalig habe ich Gongs auf einem Festival in Erlangen erlebt. In einer Kirche wurden fünfzehn verschiedene Gongs mit Durchmessern zwischen 50 cm und 1,50 Metern gespielt. Die beiden Gong-Spieler haben sowohl leise als auch laute Gongklänge erzeugt und ich konnte spüren, wie die Töne nicht nur die Ohren erreichten, sondern die Schwingungen von dem ganzen Körper gehört wurden. In der Folge ließ ich mich öfters von einem Gong-Spieler bespielen. Viele Jahre später kam dann der erste Gong zu mir.
Inzwischen setze ich die Gongs sowohl in Konzerten als auch zum Bespielen von Personen ein. Ganz besonders gefällt mir das Gong-Spiel in der Natur, weil der Klang nicht zurück geworfen wird, sondern in die Natur hinausgleitet.
Gongs sind ganz obertonreiche Instrumente, lassen viele Obertöne gleichzeitig deutlich erklingen und haben so eine erhebliche Wirkung auf Körper, Seele und Geist. Viele Menschen kennen Gongs nur als "Alarmsignal", dass zum Beispiel das Essen beginnt, oder als besondere Fixpunkte in Musikstücken. Doch die Klänge der Gongs verdienen es, mehr gewürdigt zu werden.
Gongs klingen mitunter bis zu zwei oder drei Minuten nach. Diese Klänge sind hervorragend geeignet für Entspannung, zur Harmonisierung, zum Wohlfühlen und zum Bespielen von Mensch und Natur. Sie haben, so wie die Obertöne, transformatorische Eigenschaften.
Trotzdem setzt auch du sie zu bestimmten Zeitpunkten ein - als Akzente? Als Ankündigung, dass etwas Anderes ansteht?
Zu meiner Arbeit gehören auch Retreats: vier bis achttägige "innere Einkehrtage", bei denen der Atem, das Tönen und das Schweigen wichtig sind. Alle drei Stunden beginnt ein neuer Zyklus, der aus Atem, Tönen und Schweigen besteht. Und hierbei setze ich zu Beginn einen Gong ein.
In der Regel nutze ich aber Gongs für Konzerte und Gong-Klang-Reisen. Gongklänge werden oft mit sphärischer Musik verglichen oder dafür eingesetzt. Viele Teilnehmer der Gong-Klang-Reisen berichten von inneren oder äußeren tiefen Reisen, teilweise bis ins Universum hinein.
Thomas Heinrich Schmöckel, wir danken dir für dieses Gespräch.
Fon +49-(0)461-4808497, Fax 4808545, - - - Email: Schmoeckel@HYNRICKS.de - - - Homepage: www.HYNRICKS.de